Projekte

Eines der Anliegen des Österreichischen Zentrums für Dokumentation und Qualitätssicherung in der Intensivmedizin war von Anfang an die wissenschaftliche Auswertung der gesammelten Daten. Auf dieser Seite wollen wir Ihnen einige der rezent publizierten wissenschaftlichen Projekte des Vereines vorstellen. 

Aktuelle Studien

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

Funk GC, Bauer P, Burghuber OC, Fazekas A, Hartl S, Hochrieser H, Schmutz R, Metnitz PhGH.  Prevalence and Prognosis of COPD in Critically Ill Patients between 1998 and 2008. Eur Respir J 2012; In press

Über die Epidemiologie der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) ist bei Intensivpatienten wenig bekannt. Die Fragestellungen unserer Studie waren 1.) ob COPD als Aufnahmegrund oder als Begleiterkrankung ein unabhängiger Risikofaktor für erhöhte Morbidität und Sterblichkeit ist und 2.) wie sich Häufigkeit und Outcome von akuter Atmungsinsuffizienz bei COPD Patienten über die Zeit entwickelte.

Wir analysierten in einer retrospektiven Studie die prospektiven aufgezeichneten Daten von 194.453 erwachsenen Patienten, die konsekutiven auf 87 Österreichischen Intensivstationen zwischen 1998 und 2008 aufgenommen wurden. COPD fand sich bei 8,6 % aller Patienten. Die Risiko-adjustierte Mortalität war höher bei Patienten mit COPD verglichen mit Patienten ohne COPD. Die Diagnose COPD war ein unabhängiger Risikofaktor für erhöhte Sterblichkeit und war auch mit prolongierter Beatmung und prolongierter Entwöhnung von der Beatmung assoziiert.

Während des elf-jährigen Studienzeitraums nahm die Häufigkeit von akuter Atmungsinsuffizienz wegen COPD um ca. zwei Drittel zu, und die Verwendung von nicht-invasiver Beatmung verdoppelte sich in der COPD Kohorte. Gleichzeitig verbesserte sich die Risiko-adjustierte Sterblichkeit von Patienten mit COPD. Zusammengefasst ist COPD bei kritisch kranken Patienten ein an Häufigkeit zunehmender Risikofaktor für erhöhte Sterblichkeit und Morbidität.

Internationale Outcome Studie: Sterblichkeit nach chirurgischen Eingriffen

Pearse MR, Moreno R, Bauer P, Pelosi P, Metnitz P, Spies C, Vallet B, Vincent JL, Hoeft A, Rhodes A. Variations in mortality for surgical patients across 28 European nations: An international seven day cohort study. Lancet. 2012; 380(9847):1059-1065.

Background:

Clinical outcomes after major surgery are poorly described at the national level. Evidence of heterogeneity between hospitals and health-care systems suggests potential to improve care for patients but this potential remains unconfirmed. The European Surgical Outcomes Study was an international study designed to assess outcomes after non-cardiac surgery in Europe.

Methods:

We did this 7 day cohort study between April 4 and April 11, 2011. We collected data describing consecutive patients aged 16 years and older undergoing inpatient non-cardiac surgery in 498 hospitals across 28 European nations. Patients were followed up for a maximum of 60 days. The primary endpoint was in-hospital mortality. Secondary outcome measures were duration of hospital stay and admission to critical care. We used χ(2) and Fisher's exact tests to compare categorical variables and the t test or the Mann-Whitney U test to compare continuous variables. Significance was set at p<0·05. We constructed multilevel logistic regression models to adjust for the differences in mortality rates between countries.

Findings:

We included 46,539 patients, of whom 1855 (4%) died before hospital discharge. 3599 (8%) patients were admitted to critical care after surgery with a median length of stay of 1·2 days (IQR 0·9-3·6). 1358 (73%) patients who died were not admitted to critical care at any stage after surgery. Crude mortality rates varied widely between countries (from 1·2% [95% CI 0·0-3·0] for Iceland to 21·5% [16·9-26·2] for Latvia). After adjustment for confounding variables, important differences remained between countries when compared with the UK, the country with the largest dataset (OR range from 0·44 [95% CI 0·19-1·05; p=0·06] for Finland to 6·92 [2·37-20·27; p=0·0004] for Poland).

Interpretation:

The mortality rate for patients undergoing inpatient non-cardiac surgery was higher than anticipated. Variations in mortality between countries suggest the need for national and international strategies to improve care for this group of patients.

Verfügbarkeit von Intensivbetten in Europa 

Rhodes A, Ferdinande P, Flaatten H, Guidet B, Metnitz PG, Moreno RP. The Variability of Intensive Care Beds Numbers in Europe. Intensive Care Med 2012; 38:1647-1653.

Purpose:

To quantify the numbers of critical care beds in Europe and to understand the differences in these numbers between countries when corrected for population size and gross domestic product.

Methods:

Prospective data collection of critical care bed numbers for each country in Europe from July 2010 to July 2011. Sources were identified in each country that could provide data on numbers of critical care beds (intensive care and intermediate care). These data were then cross-referenced with data from international databases describing population size and age, gross domestic product (GDP), expenditure on healthcare and numbers of acute care beds.

Results:

We identified 2,068,892 acute care beds and 73,585 (2.8 %) critical care beds. Due to the heterogeneous descriptions of these beds in the individual countries it was not possible to discriminate between intensive care and intermediate care in most cases. On average there were 11.5 critical care beds per 100,000 head of population, with marked differences between countries (Germany 29.2, Portugal 4.2). The numbers of critical care beds per country corrected for population size were positively correlated with GDP (r(2) = 0.16, p = 0.05), numbers of acute care beds corrected for population (r(2) = 0.12, p = 0.05) and the percentage of acute care beds designated as critical care (r(2) = 0.59, p < 0.0001). They were not correlated with the proportion of GDP expended on healthcare.

Conclusion:

Critical care bed numbers vary considerably between countries in Europe. Better understanding of these numbers should facilitate improved planning for critical care capacity and utilization in the future.

Ältere PatientInnen an österreichischen Intensivstationen

Ihra GC, Lehberger J, Hochrieser H, Bauer P, Schmutz R, Metnitz  B, Metnitz PhGH. Development of demographics and outcome of very old critically ill patients admitted to intensive care units. Intensive Care Med 2012; 38(4):620-626.

Die Altersstruktur der österreichischen Bevölkerung ändert sich kontinuierlich. Dabei kommen vor allem zwei  Faktoren zum Tragen:  Erstens stellt der vom Weltkrieg getroffene und dadurch verdünnte männliche Bevölkerungsanteil einen immer geringeren Teil der Bevölkerung.  Zweitens kommen die Geburten-starken Jahrgänge langsam aber sicher in ein Alter wo auch sie vermehrt medizinischer Betreuung bedürfen. Durch diese Faktoren  wird es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu einem Ansteigen des Anteils älterer Österreicher kommen. Die derzeitigen Prognosen für Österreich gehen davon aus, dass in den kommenden Jahrzehnten der Anteil der ÖsterreicherInnen welche älter als 60 Jahre sind, von etwa 20% auf etwa 30 % steigen wird.

Für die Medizin bedeutet das bereits in naher Zukunft eine enorme Belastung, da es vor allem ältere Menschen sind welche intensiver medizinischer – und eben auch intensivmedizinischer Betreuung bedürfen. Internationale Studien welche sich mit diesem Thema beschäftigt haben, schätzen eine Zunahme der Inzidenz beatmungspflichtiger PatientInnen um ca. 2 bis 3% pro Jahr [ [i]]. Dies hat mehrere Auswirkungen auf die intensivmedizinische Versorgung der Bevölkerung. Erstens, weil bei gleicher Nutzung der Ressourcen deutlich mehr Beatmungsplätze benötigt werden. Zweitens, weil damit auch mehr Intensivmediziner ausgebildet werden müssten. Drittens, weil damit auch ein neuer Diskurs über die Nutzung der verfügbaren intensivmedizinischen Ressourcen angestoßen wird, indem vor allem die Rolle älterer PatientInnen und ihres Outcomes hinterfragt werden.

Die ersten beiden Punkte – mehr Beatmungsplätze sowie mehr Mediziner die diese auch betreuen können – stellen Gesundheit-politische Themen dar. Der - wohl subjektive - bisherige Eindruck ist, dass diese noch nicht in der Diskussion angekommen sind. Im Gegenteil wird immer wieder behauptet, dass Österreich zu viel intensivmedizinische Kapazitäten im internationalen Vergleich aufweist. Ohne diese Aussagen hier hinterfragen zu wollen, zeigt die Dynamik der Bevölkerungsentwicklung, dass wir uns im Rennen um eine Sicherung der intensivmedizinischen Versorgung auch in Zukunft wohl schon im Hintertreffen befinden: es gibt bereits derzeit zu wenig IntensivmedizinerInnen und dieser Mangel wird sich in den nächsten Jahren bei steigender Nachfrage noch verschärfen. Eine Tatsache die in anderen Ländern bereits erkannt wurde und wo bereits entsprechende Gegenmaßnahmen durch Ausbildung qualifizierter MitarbeiterInnen gesetzt werden [[ii]].

Kann man nun die zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht automatisch vergrößern, so folgt unmittelbar die Diskussion über die gegenwärtige Nutzung. Ist sie adäquat? Kann man etwas verbessern? Wo könnte eine Triage ansetzten wenn notwendig? Gerade die ansteigende Zahl an älteren PatientInnen fokussiert die Diskussion rasch auf denselben. Wie sieht es nun wirklich mit der Prognose älterer PatientInnen aus?

Zur Prognose intensivmedizinisch betreuter alter und älterer Menschen gibt es inzwischen einige Studien, darunter auch eine ASDI Studie mit Daten aus Österreich. Was sich in allen Studien zeigt ist - wie aufgrund der demografischen Entwicklungen zu erwarten - dass der Anteil der „elderly“ „old“ „very old“ oder wie immer sie genannt werden sich über die Jahre erhöht. In Österreich stieg der Anteil der über 80-Jährigen zwischen 1998 und 2008 von ca. 4% auf 6% Anteil an der Gesamtkohorte pro Jahr) [[iii]]. Das bedeutet immerhin eine Steigerung um 50% innerhalb einer Dekade!

Neben der Inzidenz stieg über die Jahre auch der durchschnittliche Schweregrad der Erkrankung in diesem Kollektiv. Dennoch zeigte sich – ähnlich wie im Gesamtkollektiv aller PatientInnen – eine Abnahme der Risiko-adjustierten Mortalität – also eine Verbesserung der Prognose über die Jahre hinweg.

Im Vergleich zwischen PatientInnen < und > 80 Jahren, zeigte sich in den österreichischen Daten dass ältere PatientInnen einen deutlich höheren Anteil weiblicher PatientInnen aufweisen (38,6 vs. 63.2%). Die Liegedauer ist mit 3,0 (2–6) Tagen bei  älteren PatientInnen kürzer. Die Spitalsmortalität ist bei den über 80-Jährigen mit 31% etwa doppelt so hoch wie bei PatientInnen < 80 Jahren (siehe Tabelle 1), auch Risiko-adjustiert sterben ältere PatientInnen vermehrt.

Dennoch zeigen die Daten auch noch zwei Sachverhalte: erstens, dass der Unterschied im Schweregrad der Erkrankung nach Korrektur der Alterspunkte nicht mehr so ausgeprägt ist (18 vs. 15); Weiters, dass die Mortalität mit 31% bei den über 80-Jährigen zwar hoch ist - dennoch sollte man nicht außer Acht lassen dass 69% dieser PatientInnen das Spital wieder lebend verlassen!

Aus der Studie von Somme et al. wissen wir, dass alte PatientInnen auch nach der Entlassung aus dem Spital eine erhöhte Sterblichkeit aufweisen [[iv]]. Dennoch kann man auch hier eine Angleichung der Absterberate an die jüngerer PatientInnen beobachten. Damit kann man festhalten, dass die Prognose selbst wirklich alter PatientInnen generell nicht schlecht ist – also dass Alter per se nicht  mit „negativem Outcome“ gleichzusetzen ist. Dass die durchschnittliche Überlebensdauer dieser Menschen nach einem Intensivaufenthalt kürzer sein muss als die einer jüngeren Vergleichsgruppe ist selbstverständlich und ergibt sich aus der Tatsache dass diese Menschen dem Ende ihres Lebensweges auch vor einer Intensivmedizinischen Betreuung bereits näher standen.

Therapeutische Entscheidungen in dieser Gruppe gehören daher wohlüberlegt. Eine „Triage“ aufgrund des Alters alleine scheint aufgrund der vorliegenden Daten nicht gerechtfertigt. Vielmehr sollte in solchen Fällen wohl immer eine individuelle Entscheidung, welche alle relevanten Aspekte miteinbezieht getroffen werden.

≤ 80

> 80

 

(n = 110,028)

(n = 17,126)

p-Wert

Alter, Jahre (Median und quartilen)

62 (49 – 72)

84 (82 – 87)

< 0.0001

Weibliches Geschlecht, %

38,6

63,2

< 0.0001

ICU-LOS, Tage

3,0 (2–7)

3,0 (2–6)

< 0.0001

Mechanische Beatmung, PatientInnen, %

55

50,3

< 0.0001

Aufnahmetyp, %

     

 Medizinisch

53

55,1

< 0.0001

 Geplant chirurgisch

28,1

19,5

< 0.0001

 Ungeplant chirurgisch

18,9

25,5

< 0.0001

SAPS II Score

26 (18-38)

36 (29-48)

< 0.0001

SAPS II Score Alterskorrigiert

15 (8-27)

18 (11-30)

< 0.0001

Mortalität an der IBS, %

11,4

20,2

< 0.0001

Mortalität im Spital, %

15,9

31

< 0.0001

SAPS II O/E-ratio (95% CI)

0,93 (0,92-0,94)

1,08 (1,06-1,1)

 

Tabelle 1. Vergleich von PatientInnen < und > 80 Jahren.


[i] Needham DM, Bronskill SE, Calinawan JR, Sibbald WJ, Pronovost PJ, Laupacis A (2005) Projected incidence of mechanical ventilation in Ontario to 2026: preparing for the aging baby boomers. Crit Care Med 33:574-579

[ii] Angus DC, Kelley MA, Schmitz RJ, White A, Popovich J (2000) Current and projected workforce requirements for care of the critically ill and patients with pulmonary disease. JAMA 284:2762-2770

[iii] Ihra GC, Lehberger J, Hochrieser H, Bauer P, Schmutz R, Metnitz B, Metnitz PhGH. Development of demographics and outcome of very old critically ill patients admitted to intensive care units. In press.

[iv] Somme D, Maillet JM, Gisselbrecht M, Novara A, Ract C, Fagon JY (2003) Critically ill old and the oldest-old patients in intensive care: short- and long-term outcomes. Intensive Care Med 29:2137-2143

Qualitätsindikatoren für Intensivmedizin - Entwicklung eines europäischen Mindeststandards

Rhodes A, Moreno RP, Azoulay E, Capuzzo M, Chiche JD, Eddlestone J, Ferdinande P, Flaatten H, Guidet B, Kuhlen R, León-Gil C, Martin Delgado MC, Metnitz P, Soares M, Sprung C, Timsit JF, Valentin A on behalf of the Task Force on Quality and Safety of the European Society of Intensive care Medicine (ESICM). Prospectively defined indicators to improve the safety and quality of care for critically ill patients: a report from the task Force on Safety and Quality of the European Society of Intensive Care Medicine (ESICM). Intensive Care Med 2012; 38:598-605.

Objectives:

To define a set of indicators that could be used to improve quality in intensive care medicine.

Methodology:

An European Society of Intensive Care Medicine Task Force on Quality and Safety identified all commonly used key quality indicators. This international Task Force consisted of 18 experts, all with a self-proclaimed interest in the area. Through a modified Delphi process seeking greater than 90% consensual agreement from this nominal group, the indicators were then refined through a series of iterative processes.

Results:

A total of 111 indicators of quality were initially found, and these were consolidated into 102 separate items. After five discrete rounds of debate, these indicators were reduced to a subset of nine that all had greater than 90% agreement from the nominal group. These indicators can be used to describe the structures (3), processes (2) and outcomes (4) of intensive care. Across this international group, it was much more difficult to obtain consensual agreement on the indicators describing processes of care than on the structures and outcomes.

Conclusion:

This document contains nine indicators, all of which have a high level of consensual agreement from an international Task Force, which could be used to improve quality in routine intensive care practice.

Outcome im Bereich der post-chirurgischen Intensivmedizin in Österreich

Rhodes A, Moreno RP, Metnitz B, Hochrieser H, Bauer P, Metnitz P. Epidemiology and outcome following post-surgical admission to critical care. Intensive Care Med. 2011;37:1466-72.

Purpose:

To describe the factors related to outcome in patients admitted to the intensive care unit (ICU) after major surgery at a national level (in Austria).

Methods:

Analysis of a prospectively collected database of ICU admissions over an 11-year period. Factors associated with mortality and how this changed with time were explored using logistic multilevel modelling.

Results:

A total of 88,504 surgical patients had a mean ICU length of stay of 6.5 days and total hospital stay of 31.3 days. They had an ICU mortality of 7.6% and a hospital mortality of 11.8%. Factors associated with hospital mortality included age (odds ratio (OR) 1.42 per 10 years of age), urgency of operation (2.02 for emergency when compared to elective), SAPS II score (OR 1.09), reason for admission being a medical cause and the specific nature of the surgery itself: thoracic (OR 1.81), cardiovascular (OR 1.25), trauma (OR 1.22) or gastrointestinal surgery (OR 1.71). In addition patients who had pre-existing chronic renal (OR 1.40), respiratory (OR 1.20) or cardiac failure (OR 1.29), cirrhosis (OR 2.50), alcoholism (OR 1.42), acute kidney injury (OR 1.88) and/or non-metastatic cancer (OR 1.20) were associated with higher hospital mortality than patients without this co-morbidity. There was a reduction in the OR for death over the whole 11-year period. This improved outcome remained valid even after adjusting for the identified risk factors for mortality (OR per year 0.96).

Patientensicherheit in der Intensivmedizin – die „SEE“ Studien

Valentin A, Capuzzo M, Guidet B, Moreno RP, Dolanski L, Bauer P, Metnitz PG, (2006) Patient safety in intensive care: results from the multinational Sentinel Events Evaluation (SEE) study. Intensive Care Med 32: 1591-1598

Valentin A, Capuzzo M, Guidet B, Moreno R, Metnitz B, Bauer P, Metnitz P, (2009) Errors in administration of parenteral drugs in intensive care units: multinational prospective study. BMJ 338: b814

An sich würde der Schluss naheliegen, dass Intensivstationen als die sichersten Orte mit den zuverlässigsten Abläufen innerhalb eines Krankenhauses gelten können. Es steht auch außer Frage, dass an Intensivstationen außerordentliche vor wenigen Jahren undenkbare Leistungen erbracht werden. Bei näherer Betrachtung wird jedoch rasch klar, dass die Komplexität der Prozesse und der Krankheitsverläufe mit denen Intensivstationen konfrontiert sind das System anfällig für Fehler machen. Zusätzlich stellt neben dieser Komplexität das Ausmaß an erbrachten Leistungen und Interventionen einen Risikofaktor dar, der gewissermaßen mit den „Gelegenheiten“ einen Fehler zu machen zunimmt. Das umfangreiche Monitoring und die Dichte an medizinischer und pflegerischer Dokumentation erhöht andererseits auch die Wahrscheinlichkeit, dass Fehler entdeckt werden.

So hat die erste multinationale Studie (205 Intensivstationen in 29 Ländern) über das Auftreten von „Sentinel Events“ in der Intensivmedizin innerhalb von 5 wesentlichen Kategorien 38,8 Ereignisse pro 100 Patiententage detektiert (Valentin et al., Intensive Care Medicine 2006). Die beobachteten Kategorien bezogen sich auf die Verschreibung und Gabe von Medikamenten, Ereignisse im Zusammenhang mit liegenden Kathetern und Drainagen, Ereignisse im Hinblick auf den künstlichen Atemweg, Versagen von Equipment, sowie das Handling von Alarmen.

Die zweite multinationale „Sentinel Events Evaluation Study (SEE 2)“ hat Fehler bei der Verabreichung parenteraler Medikation an Intensivstationen hinsichtlich der Häufigkeit, Charakteristik und Einflussfaktoren untersucht. Weltweit nahmen 113 Intensivstationen aus 27 Ländern an dieser 24 h Querschnitts-Untersuchung teil. Von den 1328 in die Studie eingeschlossenen Patienten, waren 441 Patienten von insgesamt 861 Medikationsfehlern betroffen. Bei insgesamt 887 Patienten (67%) unterlief kein Fehler, während bei 250 Patienten (19%) jeweils ein Fehler auftrat und bei 191 Patienten (14%) mehr als einer. Lediglich 21 Intensivstationen (19%) meldeten keine Medikationsfehler.  Pro 100 Patiententage traten 74.5 Fehler auf. Die häufigsten Fehler waren Arzneimittelgaben zum falschen Zeitpunkt (n=386) und versäumte Arzneimittelgaben (n=259), gefolgt von falscher Dosierung (n=118), falschem Medikament (n=61) und falschem Applikationsweg (n=37). Hohe Arbeitsbelastung/Stress/Übermüdung wurde in 32% aller Fälle als Faktor angegeben, der zur Entstehung des Fehlers beitrug. Weitere Faktoren betrafen kürzlich geänderte Handelsnamen von Arzneimitteln (18%), schriftliche Kommunikation (14%), mündliche Kommunikation (10%), Erfahrung/Fachwissen/Supervision (9%), Verstöße gegen Regeln/Standards ( 9%) und  Übergaben (6%).

Die teilnehmenden Intensivstationen gaben an, dass 71% der parenteralen Medikationsfehler zu keiner Veränderung im Status des betreffenden Patienten geführt haben. Entsprechend der Beurteilung der teilnehmenden Intensivstationen haben jedoch 12 Patienten (0.9% der gesamten Studienpopulation) in Zusammenhang mit insgesamt 15 Medikationsfehlern bleibende Schäden erlitten (n=7) oder sind verstorben (n=5).

Wie zu erwarten ergaben die statistischen Analysen, dass ein höhere Schweregrad der Erkrankung, höherer Therapieaufwand, sowie eine höhere Zahl parenteraler Arzneimittelgaben mit einer Zunahme der Wahrscheinlichkeit von mindestens einem Medikationsfehler assoziiert waren. Bedeutsam (weil beeinflussbar) sind jedoch die stationsabhängigen Faktoren  - hier war die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von mindestens einem Medikationsfehler erhöht wenn mehr Patienten auf eine Pflegeperson kamen, und niedriger, wenn ein Berichtssystem für kritische Ereignisse (Critical Incident Reporting System, CIRS) vorhanden war. Die multiple logistische Regressionsanalyse, bei der sämtliche Fehlertypen berücksichtigt wurden bestätigte die positiven Effekte eines CIRS.